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Nikolaus Schapfl

von M. Sparks

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Foto: Hubert Auer

1) Nikolaus, auf Ihrer Internet-Willkommensseite erwähnen Sie, daß die Entwicklung von Musik und Theater ein Indikator für Humanität, für Vorwärts- oder Rückwärtsentwicklung sei. Lassen Sie uns gleich hier einsteigen: Ausgehend vom Zustand der klassischen Musik heute, wo glauben Sie, geht die Menschheit hin?

Entwicklung des Theaters und der Musik, allgemein der Kunst, hängt für mich mit dem Grad der realisierten Freiheit zusammen, in der ein Künstler sich an die Gesellschaft, das Publikum wenden kann ohne sich zu eingeengt an die Vorgaben der Medien oder einer die öffentliche Meinung bestimmenden Gruppe halten zu müssen, um überhaupt gehört zu werden. Natürlich kann diese Freiheit des Künstlers nicht apodiktisch sein. Im Fall der Musik ist sie immer beheimatet in einem Kontext der musikalischen Kreise, sprich der Musiker, die die Musik aufführen sollen, der Sänger, die die Rollen darstellen sollen, der Könner aus dem Bereich der Regie, des Bühnenbildes usw. und des Publikums.

Es ist dann Sache der Interpreten und des Publikums, quasi abzustimmen darüber, was gut ist, was zum Wiederhören einlädt. Meist spielt die Zeit in der Beurteilung eine wichtige Rolle. Gute Kunst baut den Menschen auf, sie vergewissert ihn eines tieferen Sinns in seiner Existenz, den er erstaunt und bewegt zur Kenntnis nimmt. In meinen Augen wird eine kreative Leistung immer veranschaulichen, wie groß das Leben ist und nicht, welche Grenzen der Obszönität noch überschritten werden können. Leider kam es seit den 90er Jahren auf den Bühnen in Mitteleuropa zu extremen, skandalösen Überschreitungen ohne, daß ein künstlerischer Wert erkennbar gewesen wäre. Die Inhalte dieser Exzesse will ich einfach nicht dem Leser dieser Zeilen als Bilder vor sein inneres Auge stellen. Jedes Jahr seit etwa 1990 war es so, daß ich dachte, das hat aber jetzt den Vogel abgeschossen, weiter könne es nicht gehen. Aber nein: Im nächsten Jahr kam eine noch weitergehende Grenzüberschreitung in Inszenierungen von klassischen Opern. Zusammenfassend will ich nur einen Fall berichten in Form einer Teichoskopie (Mauerschau) von innerhalb des Zuschauerraums aus. Ein Darsteller auf der Bühne des sich selbst als wichtigstes Musikfestival Europas bezeichnenden Veranstalters tat etwas. Egal, daß er für das übrigens in der Öffentlichkeit sofort verhaftet worden wäre, wenn es wenigstens einen darstellerischen und aufbauenden Sinn gehabt hätte. Ein prominenter Vertreter des öffentlichen Lebens dieser Stadt wandte sich im Zuschauerraum um und sagte sinngemäß zu einer ebenso öffentlich bekannten Person: „So schäme ich mich für meine Stadt, daß hier so etwas gezeigt wird und niemand einschreitet.“ Ein Regisseur, der selber jahrzehntelang Intendant eines Dreispartenhauses war, sagte mir zur Premiere seiner Don-Giovanni-Inszenierung, obwohl ich mit ihm nie über das Thema geredet hatte - er selbst lobte übrigens öffentlich meine Oper „Der kleine Prinz“ - gleichsam, als wolle er sich für seine Inszenierung entschuldigen: „Wenn ein Regisseur nichts obszönes bringt, wird er von der Kritik zerrissen.“ Der Leser mache jetzt bitte nicht den typischen Fehler des postfaktischen Zeitalters und denke „Das stimmt doch alles nicht". Es geht einfach darum, nach welchen Vorgaben Kulturschaffende ihre Arbeit ausrichten und zweitens: Kann es nicht sein, daß Kulturschaffende in der ersten Reihe nicht auch etwas mitbekommen von den bestimmenden, gestaltenden Kräften?

Ich komme zurück zu meinem Ausgangspunkt: Es geht um Freiheit. Es geht darum, daß ein gewisser Teil der Kulturbranche dem Rest vorschreiben will, was gute Kunst ist. Eine Widerrede ist nicht erlaubt. Freiheit existiert dann nur in dem Schritt, die Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs einzustellen, bzw. im Falle von Sängern und Bühnendarstellern einfach die Schweinereien (denn darum handelt es sich) unter Aufgabe guter Karrierechancen zu verweigern. Ich kenne zahlreiche Klagen von Opernsängern zu diesem Thema. Ich könnte Ihnen auch unfassbare Bilder in den Kopf stellen von dem, was die oder der hochberühmte Sänger alles zu tun hatte, aber das wollte ich ja besser unterlassen.

Die zweite Dimension des Rückschritts sehe ich darin, daß immer die selben Stücke als Kernrepertoire aufgeführt werden, eine Auswahl von ca. 15 Opern weltweit. Diese werden dann neu inszeniert, also oft in einen völlig anderen Kontext gestellt. Meist wird hier keine unsere Zeit betreffende und tiefer gehende Aussage geschaffen, sondern das Stück verzerrt und seiner eigentlichen künstlerischen Aussage beraubt. Sehr oft wird das blanke Sinnvakuum dann mangels besserer Ideen einfach mit einer Obszönität verdeckt, die einem die Spucke raubt. Da frage ich mich, warum trauen sich diese Regisseure nicht, selber ein Libretto zu schaffen, wenn sie sich schon zum Alleinkreativen emporschwingen, anstatt das Meisterwerk eines anderen zu verzerren, der sich nicht mehr wehren kann? Das halte ich für billig, feige und höchst unkreativ. Um etwas Positives, denn erfreulicherweise gab und gibt es das auch, zu berichten: Z.B. zur Traviata- Inszenierung im Jahre 2005 in Salzburg von Willi Decker mit seinem Bühnenbildner Wolfgang Gussmann, die sich als Anna Netrebkos Durchbruch erwies, bemängelten einige wirklich in meinen Augen zurückgebliebene Hörer, diese Inszenierung sei viel zu modern gewesen und lehnten sie ab. Was stimmt: Willi Decker hat diese Oper optisch wirklich in unsere Zeit transponiert, elegant, schön, geschmackvoll und das Wichtigste: Er hat die Geschichte erzählt wie von Verdi und Piave gemeint. Es war ein hinreißender Abend und schon in der Pause schritten Damen die lange Treppe des Eingangsbereiches herab mit zerlaufener Schminke im Gesicht. Mit dieser Inszenierung konnte man am Puls dessen sein, was Oper bedeuten kann, ein großes gesellschaftliches Erleben eines herzzerreißenden Dramas, das den Wert des Lebens erfahrbar macht und nicht einfach das verstohlene Flüstern unter vorgehaltenen Händen darüber, was man doch besser nicht anspricht.

2) Wir würden Sie ihren Kompositionsstil beschreiben?

Ich schreibe tonal, das heißt, auch in Dreiklängen, Tonarten, Melodien. Auch die Atonalität ist für mich ein Ausdrucksmittel, allerdings wäre sie mir allein zu wenig. Ebenso wäre mir eine eingeschränkte, eine minimalistische Tonalität zu wenig. Ich respektiere andere Meinungen, denn darin besteht ja die Freiheit. Die Freiheit besteht jedoch nicht darin, anderen vorzuschreiben, wie sie zu komponieren haben und ob sie als Folge ihrer Unterwerfung dann einen Studienplatz oder Aufführungen bekommen. Außerdem, wohin soll ein Sich-Vorschreiben-lassen der stilistischen Mittel hinführen als in den Tod der Musik? Ich erinnere mich allzu gut an die Attacken von selbsternannten Stilwächtern bestärkt durch das bedauerliche Kuschen der Kompositionsstudenten, das sich u.a. in solchen unter vorgehaltener Hand geflüsterten Aussagen manifestierte wie, es ginge nur darum, den Dreiklang zu vermeiden. Vor kurzem, es war im Februar 2019, traf ich einen Komponisten, der in den 90er Jahren, als ich Student für Komposition war, als Dozent an der gleichen Hochschule wirkte, der mir sagte: Das war doch wie eine Diktatur. Ich schmunzelte und dachte mir, das „war“ könntest du immer noch durch ein „ist“ austauschen.

Ich könnte hier wirklich viele Beweise dafür anführen, wie in Kunsthochschulen ein Gleischschaltungsdruck aufgebaut wird. Wichtig aber ist, das Publikum und die Musiker mit Musik zu überzeugen. Damals bekam ich zu hören: „Ihre Oper wird nie aufgeführt werden.“ Gemeint war, weil sie größtenteils aus tonaler Musik besteht. Wenige Jahre später war diese Oper über wenigstens 5 Jahre, wenn nicht länger, die meistgespielte Oper eines lebenden Komponisten in Mitteleuropa. Das beweist, daß nicht nur vorgeschriebene Ideologie, sondern auch die Auffassung des Publikums, die Qualitätsvorstellungen der Musiker und die Absatzerwartungen der Veranstalter eine Rolle spielen.

3) Betrachten Sie sich als rückwärtsgewandten Komponisten, oder als modern?

Ich halte mich für einen Künstler, der von den zeitlosen Ausdrucksmitteln und Inhalten angezogen wird. Dafür scheue ich mich auch nicht davor, anzuecken. Mit „zeitlos“ meine ich keine bedeutungslose Worthülse, sondern Begeisterung für und durch aufbauende Klangerlebnisse, neue, neu entdeckte, positive Sichtweisen eröffnende Horizonte, Erlebnisse tiefer Wahrheit, eines Ja zu Liebe, Leben und zum Menschen und nicht düstere, nervtötende Lärmkaskaden, hämmerndes, krächzendes Dröhnen einer jeden Sinnes beraubten, furchtbar öden Kerkerexistenz ohne Hoffnung auf Licht.

Ich erinnere mich sehr gut: In den 70er Jahren, als ich mit dem Komponieren anfing und damit, meine Kompositionen herzuzeigen, erlebte ich etwas für mich Unfassbares: Die Aggressivität von anderen Personen in der Musik, auch Dozenten für Musik- und Harmonielehre etc., gegen junge Komponisten, die die Musik und die in ihr wirkenden Kräfte, Gesetze und Möglichkeiten herausfinden und quasi erforschen wollten. Der Druck der Gleichschaltung, sprich der Zwang zur Atonalität, war brutal. Ich halte diese 100-Jahre alte Avantgarde, die sich als monolithische Diktatur aufspielt und die sich seit hundert Jahren im Kern nicht verändert hat, für höchst rückschrittlich. Fortschrittlich kann nur sein, Wege zu finden, Menschen zu begeistern, die Schönheit erfahrbar zu machen und damit den Sinn des menschlichen Lebens. Ich denke an die „5 pieces“ von Dmitri Schostakowitsch, Stücke, die tonal sind und überall zu den verschiedensten Anlässen zum Vorschein und zur Aufführung gelangen, weil sie eben die Menschen ansprechen und Lust zum Wiederhören wecken. Ich denke auch an die vielen, „ästhetisch korrekten“ Konstrukte in Notenform, die niemand ein zweites Mal hören will, es sei denn, aus politischer Korrektheit.

4) Sie haben eine Oper „Der kleine Prinz“ nach der berühmten Geschichte Antoine de Saint-Exupérys geschrieben. Wie ist Ihre Meinung zu seiner Philosophie: „Du bist zeitlebens verantwortlich für alles, was du dir vertraut gemacht hast.“ Stimmen Sie damit überein?

Natürlich sind wir alle Schaf und Hirte. Es gibt Menschen, denen wir Achtung für ihren Rat schulden und schon allein die Klugheit sagt uns, diesem besser Folge zu leisten. Andererseits können wir nicht an jemandem vorbeigehen, der unsere Hilfe braucht. Das im Evangelium berichtete Endgericht zählt nur Unterlassungssünden auf. Mit „gezähmt“ sehe ich, könnte gemeint sein, daß es eine Hierarchie der Liebe gibt, also denjenigen, die uns besonders nahe stehen, muß unsere Hingabe zuerst gelten. Aber prinzipiell gilt sie jedem.

5) Sie haben zwei Opern geschrieben. Das ist in der zeitgenössischen klassischen Musik etwas Seltenes. Es gibt sehr wenige Komponisten, die im Operngenre schreiben. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?

Das entzieht sich meiner Kenntnis. Da kann ich nur mutmaßen. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß eine größere Reihe von Hürden überwunden werden muß, bis es endlich zu einer Opernaufführung kommt. Instrumentalwerke benötigen geringeren Aufwand, nicht auch noch ein Bühnenbild, Textrechte usw. Außerdem, wenn schon absolute Musik immer, je nach Ausmaß und Größe des Rahmens, nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch eine politische Bedeutung hat, wieviel mehr hat die Oper eine enorm politische Brisanz? Viele Medienvertreter und Politiker möchten doch dem Fall vorbeugen, daß das betreute Denken allzusehr über die Ufer tritt.

6) Veröffentlichen Sie Ihre Werke unabhängig oder über einen bestimmten Verlag?

Ich habe Werke bei vier Verlegern veröffentlicht, und auch in meinem eigenen Verlag Mirabell- Music-Publishing. Die Rolle des Musikverlages hat sich gewandelt, da niemand mehr jemanden braucht, der den Notensatz herstellt, da die meisten Komponisten heute zumindest die Reinschrift inklusive der Orchesterstimmen am Computer ohne großen Zusatzaufwand herstellen. Bei großen Absatzzahlen von Noten kann natürlich ein Verlag weiterhin unerläßlich sein. Auch ein Bühnenverlag für Opern leistet für einen Anfänger sehr wertvolle Dienste in Sachen Bühnenvertrag.

7) Sie haben für fast jede Gattung klassischer Musik geschrieben, Kammermusik, Lieder, Orchester, Oper, Film, sogar Elektronische Musik. Für welche Besetzung oder Instrument schreiben Sie am liebsten?

Ich liebe sehr die menschliche Stimme, überhaupt Textvertonung, da ich auch sehr von der Lyrik herkomme. Auch fasziniert mich besonders der gemischte Chor. Ich fand es immer eine bemerkenswerte Tatsache, daß die weiblichen und männlichen Stimmen den gesamten in Frage kommenden und nötigen Klangraum für Musik, den Ambitus von tief bis hoch innerhalb dessen die Musik leben und stattfinden muß, abdecken. So ein Zufall. Ich denke dabei an das Phänomen, wenn mir der Verweis erlaubt ist, daß die Wasserdichte nicht mit sinkender Temperatur immerfort steigt, sondern seinen höchsten Wert bei +4°C erreicht und dann wieder sinkt, was ansonsten hieße, daß in Seen keine Fische im Winter überleben könnten. Schon wieder so ein Zufall.

Ansonsten liebe ich jede Art von Musik, auch Heavy Metal, wenn nur nicht einige Texte daraus so abstoßend wären. Ich finde die Geige, aber auch alle Streichinstrumente als dem Gesang sehr nahe einfach mitreißend, aber jedes einzelne Instrument, vom Didgeridoo über Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, die Blechbläser einen bereichernden Kosmos für sich. Jedes Instrument hat seine Eigenart.

 

Nehmen wir einmal das Horn, diesen wunderbaren Klang voller Obertöne, der in mir einen Blick über Berge erweckt, von einer Freiheit über den Dingen, die niemand stehlen kann, oder die Trompete, ihren Glanz, ihre strahlende Kraft und Virtuosität. Als Komponist muß man genau wissen, für was, wie und welchen Klangbereich man welches Instrument am besten einsetzen kann, bzw. was ausgesagt werden soll.

8) Was oder wer ist Ihre Hauptinspiration?


Die Ereignisse, die an den Grund der Seele rühren. Beethoven schrieb in einem Brief: „Die schönsten Themen konnten aus einem Augenpaar in mein Herz schlüpfen.“ Diesen Satz, muß ich sagen, verstehe ich vollkommen. Die gesamte Palette des Empfindens und der Erfahrung wird in Musik konserviert, sei es Begeisterung, Glück, Frustration, Trauer. Immer klingt Musik auf.

9)  Schreiben Sie Ihre Werke schnell oder brauchen Sie eine Weile bis zur Vollendung eines Stückes?

Hier gibt es bei mir beides: Es kann sein, dass ein für mich gültiges Werk an einem Nachmittag entsteht und fertiggestellt wird, sagen wir ein Satz eines Kammermusikwerkes, oder eine Arie einer Oper. Es kann aber auch sein, daß ich erst nach monatelangem Hin-und-Her-Grübeln eine gültige Fassung erreiche. Je mehr Themen in einem Werk gegenübergestellt werden, desto mehr Zeit zur Reifung brauche ich in der Regel.

Brahms sagte sinngemäß, er müsse sich vom Moment der ersten Idee an voll anstrengen, ein späteres Wiederaufgreifen hätte einen Qualitätsverlust zur Folge. Das halte ich für eine interessante Aussage. Beethoven hat aber meist anders gearbeitet, d.h. jahrelang gefeilt.

10) Wenn Sie für Instrumentalisten oder Sänger schreiben, welche Maßnahmen ergreifen Sie beim Schreiben für das jeweilige Instrument?

In der Regel bin ich unabhängig von den Instrumentalisten bei der Gestaltung meiner kompositorischen Idee. Die Möglichkeiten der Instrumente kenne ich mittlerweile einigermaßen gut. Ich bin mir bewußt, wenn ich für Orgel schreibe, daß ich kein Organist bin, was besondere Achtsamkeit in Fragen Artikulationsspielräume, Pedal, Oktavlage angesichts mehrerer Manuale etc. erfordert. Beim Schreiben für Klavier merken die Pianisten idR, daß ich selber Pianist bin. Bei der Violine hatte ich das Glück, mit Vladimir Tsypin (Principal Violinist NY-Philhamonic) über Kompositionen von mir zu arbeiten. Er hat mir sehr viel gezeigt und ich konnte meine Schreibtechnik für dieses Instrument, auch im Streichersatz für Orchester, erheblich verbessern. Vorsicht ist geboten bei Harfe, denn dieses Instrument verlangt wirklich ein eigenes Wissen und wenn man dieses nicht berücksichtigt, kann man sich sehr unbeliebt machen. Zum Glück nahm mich die Harfenistin vor der Uraufführung meiner ersten Oper voller Verständnis beiseite und wir gingen den Harfensatz einen ganzen Tag lang durch. Allerdings hatte ich dieses Spezialwissen bei einem Orchesterwerk zehn Jahre später wieder vergessen, was sich in den bohrenden, wenn nicht töten wollenden Blicken der Harfenistin äußerte. Da sind Mühe und tiefgründiges Einsteigen vorher eine gute Investition.

Im Studium am Mozarteum verbrachte ich auch viel in der Abteilung für Gesang und konnte mitbekommen, auf was es ankommt, Atmen, Wechsellage (passaggio), Höhe, Vokalbehandlung in Abhängigkeit von der Höhe etc.

11) Haben Sie als Pianist je daran gedacht, ein Stück für präpariertes Klavier zu komponieren?

Ich hätte nie etwas dagegen gehabt. Allerdings wäre das für mich erst akut, wenn ich alle Musik für unpräpariertes Piano schon geschrieben hätte.

12) Ließe sich ein Unterrichtsmodell dafür entwerfen, wie man ein GUTER Komponist wird, oder wird ein guter Komponist einfach geboren?

Da fallen mir die schönen Witze über Brahms ein. Ein junger Mann legt ihm Kompositionen vor und fragt nach gewisser Zeit: „Und, Meister? Bin ich ein Komponist?“ „Junger Mann, sagen Sie mir, wo haben Sie nur dieses phantastische Notenpapier her?“ Weit erhellender ist aber die Antwort, die er einem andern auf dieselbe Frage gegeben haben soll: „Ihre Frage zeigt ja schon, daß Sie keiner sind.“

Für mich ist eine wichtige Entdeckung: Was mich fasziniert, fasziniert auch andere. Das hieße also, Ästhetik ist keine subjektive Meinung, sondern ein gemeinsames Erleben von Schönheit, Ergriffenwerden von ihr usw. Gute Musik hat zu tun mit dem gewissen Etwas, das sich hinter simplen Noten verbergen kann, und damit, es durch was auch immer ausgelöst zu erleben, aufzuschreiben und ggf. mit viel Mühe zu besserer Wirkung zu bringen. Fest steht für mich auch: Ein Rezept gibt es nicht. „Wie geht DAS Komponieren?“ Darauf gibt es einfach keine Antwort. Nur: Ohne viel Lernen und Wissen kann schwerlich eine gute Komposition im all umfassenden Sinn erreicht werden. Zwar kann ein Naturtalent eine ergreifende Melodie hervorbringen, einen geniales Lied etc. und damit ein Musikwerk, das um Welten die gesamte Literatur von Musikhochschulabsolventen überragt, gerade aber die Tatsache, daß die großen Komponisten fast ausnahmslos Autodidakten waren, also selbst das Bedürfnis verspürten, immer mehr über die Musik zu wissen und tiefer in ihr Geheimnis und ihre Gesetze einzudringen, beweist, daß es viel zu wissen, viel zu bedenken und viel zu lernen gibt. Dieses Wissen allerdings allein nützt zu nichts, wenn nicht dieses Undefinierbare, was Talent genannt wird, vorhanden ist.

Hier denke ich an den für uns heute unglaublichen Ausspruch Franz Lachners, eines Komponisten und Freundes von Franz Schubert: „Schade, daß Schubert nicht so viel gelernt hat wie ich, sonst wäre bei seinem außerordentlichen Talent auch ein Meister aus ihm geworden.“
Das zeigt, daß Wissen alleine auch überschätzt werden kann. Lachners Werke sind gut, zumindest würde ich das sagen, aber erst das besondere Talent, dessen Quelle nicht greifbar und nicht definierbar ist und das von ihm allein aufgespürte, wertvolle Grundmaterial, das ungeahnte Horizonte aufreißt, bringt überhaupt erst die Basis für ein epochemachendes Werk.

13) Sie lehren Komposition an der University of Redlands in Salzburg. Was ist für Sie das Wichtigste, das Ihre Studenten vom Studium mit Ihnen mitnehmen sollen?

Was mich fasziniert, fasziniert auch andere. Wichtig ist, sich nicht anzupassen, um etwas bereits Bestehendes redundant mit kleinen Veränderungen zu wiederholen, sondern Vertrauen in die Objektivität der eigenen Empfindung zu haben. Dazu gehört ein erfahrener Umgang mit der eigenen Spontaneität. Gute Ideen lassen sich nicht erzwingen, aber wenn sie da sind, muß ich sie erkennen und dann im Kontext mit den anderen Menschen in meinem Umfeld entwickeln. Komponieren ist zum großen Teil eine Kultur des Geschmacks, was wird verworfen, was wird verwendet. Lieber das Erstrangige, den Diamanten nehmen, als das Zweitrangige, den glitzernden aber wertlosen Quarz, und dafür lieber weiterschürfen, bis ich ein besseres Thema, eine bessere Lösung gefunden habe.

14) Wie schwer ist es heutzutage, Musiker zu finden, um ein Werk uraufzuführen? Beschreiben Sie Ihre Vorgehensweise bei einer Produktion eines neuen Werkes im Hinblick auf das Marketing, die Musiker, die Proben!

 

Natürlich, und das wurde uns auch von den guten Professoren an der Musikhochschule immer wieder nahegelegt, muß ein Komponist auch tätig sein dafür, daß seine Werke aufgeführt werden. Das „Unternehmerische“ ist gefragt. Musik hat natürlich hier in der Vermarktung ihre eigenen Seiten. Meist arbeite ich an Werken, für die ich einen Auftrag habe und für die ich auf eine Aufführung hinarbeite. Die weitere Verwertung kann dann einiges „Sich-auf-die-Hinterbeine-stellen“ erfordern. Ich bin hier weit davon entfernt, eine Lösung erreicht zu haben. Meist brauche ich meine Zeit sowieso fürs Komponieren und habe keine freie Zeit für Vermarktung. Musiker finde ich leicht. Ihre Arbeit muß gut honoriert werden. Auch ich muß einen angemessenen Preis verlangen. „Pay to play“ habe ich noch nie gemacht.

Bei Werken ohne Auftrag, wie es u.a. meine zwei Opern bislang anbetrifft, war ich selber der Auftraggeber. Kam Zeit, kam Rat, kam Aufführung, kamen Einnahmen. Ein guter Freund, Komponist, erfolgreicher Verleger und Hochschulprofessor, sagte mir einmal: „Du hast Glück gehabt.“ Ich denke aber oft, da wäre noch viel Raum nach oben.

15) Mehrere Ihrer Werke entstanden als Auftrag. Fühlen Sie sich stark unter Druck, wenn Sie für jemanden ein Stück schreiben, der die Zusammenarbeit mit Ihnen wünscht?

Bislang habe ich es geschafft, mit dem Druck umzugehen. Sicher spielt auch herein, ob man mit dem Auftraggeber innerlich übereinstimmt. Wenn wenig Zeit zur Verfügung steht, ist es wie eine Kampfansage, wenig Schlaf, Unterstützung durch meine Frau. Es ist dann schon erstaunlich, wie hoch durch völlige Reduktion auf das Wesentliche die Effektivität steigen kann.

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